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Panorama „Story im Ersten“

Wie eine „Madame“ Frauen mit Voodoo versklavt

Szene aus der Dokumentation „Die Story im Ersten: Ware Frau – Als Zwangsprostituierte in Deutschland“ Szene aus der Dokumentation „Die Story im Ersten: Ware Frau – Als Zwangsprostituierte in Deutschland“
Szene aus der Dokumentation „Die Story im Ersten: Ware Frau – Als Zwangsprostituierte in Deutschland“
Quelle: WDR/Eckert & Roegler GbR/Nindo Films
Dubiose Prieser, Voodoo-Schwüre, skrupellose Verwandte und verängstige junge Frauen: Eine ARD-Dokumentation zeigt das Leid nigerianischer Zwangsprostituierter in Deutschland.

Daran haben sich schon diverse „Tatort“-Kommissare und andere TV-Ermittler abgearbeitet: Zwangsprostitution ist immer wieder Thema im deutschen Fernsehen. Mädchen und junge Frauen aus Osteuropa, die hierzulande brutal gezwungen werden, auf den Strich zu gehen. Krimi-Gucker kennen solche – gespielten – Szenen etwa aus Til Schweigers „Tatort“-Premiere oder der preisgekrönten Serie „Im Angesicht des Verbrechens“.

Bislang eher unbekannt dürfte die schmutzige Facette des – real existierenden – Problems sein, die die Reportage „Ware Frau – Als Zwangsprostituierte in Deutschland“ offenbart. Der Film aus der Sendereihe „Die Story im Ersten“, die Montagabend um 22.45 Uhr in der ARD läuft, zeigt nicht Osteuropa, sondern Nigeria als einen Ursprung des Frauenhandels.

Bei Tracy war es die eigene Tante. Die in Deutschland lebende Verwandte lud die 17-jährige Nigerianerin ein, zu ihr zu kommen, damit sie aus der Ferne ihre Familie unterstützen könne. Sie würde auch die Kosten der weiten Reise übernehmen. Zunächst spielt sie Wiedersehensfreude vor, entpuppt sich aber schnell als eiskalte Ausbeuterin. Sie lässt ihre Nichte für sich anschaffen. So soll Tracy ihre Schulden bei der Tante abbezahlen. Sie bekommt Familienrabatt.

Die anderen drei Mädchen, die schon für die Tante arbeiten, müssen 60.000 Euro abarbeiten, Tracy immerhin „nur“ 50.000 Euro. „Ich habe morgens um zehn angefangen und dann bis sechs am nächsten Morgen. Jeden Tag. Oft nur zwei bis drei Stunden Schlaf“, erzählt die heute 25-jährige Tracy in der Sicherheit eines Kölner Hotelzimmers. „Jede Woche musste ich meiner Tante 1000 Euro geben. Wenn ich die nicht hatte, hat sie jemanden vorbei geschickt, der mich geschlagen hat.“

Skrupellos und schwer zu fassen

Tracys Tante ist eine „Madame“. So nennt man die Frauen, die Frauen versklaven, und es damit zu beträchtlich Wohlstand in Europa bringen können. Kriminaloberkommissar Bernhard Busch ist ein realer Ermittler. Seit Jahren kämpft der Saarbrückener gegen die Zuhälterinnen aus Nigeria. Immer, wenn er in der „Story im Ersten“ zu Wort kommt, schwingt viel Frust mit. Den Madames zum Beispiel, denen Bernhard Busch bisher auf die Spur kam, konnte er kaum etwas anhaben.

Werden die Opfer von der Polizei entdeckt, sagen sie so gut wie nie gegen ihre Peinigerinnen aus. Aus Angst, dass ein Fluch über sie hereinbrechen könnte. Statt eines möglichen Endes ihrer Notlage besinnen sich die jungen Frauen darauf, wie alles begann: mit einem Besuch bei einem Voodoo-Priester in ihrer Heimat.

Die Autoren des Films, Lukas Roegler und Katrin Eckert, haben sich in Nigeria auf die Suche nach solchen „Medizinmännern“ begeben und Beweise gefunden, dass diese in den Menschenhandel verwickelt sind. „Wenn du Mädchen in Deutschland brauchst – sag‘s mir. Ich besorg dir welche. Sie leisten den Schwur und kommen rüber“, sagt ein Voodoo-Priester dem Journalisten, der das Ganze mit versteckter Kamera filmt.

Der Schwur. Was genau dabei abläuft, erfahren die Journalisten, als sie Benin-Stadt mit einer Gruppe Rückkehrerinnen sprechen. Das Martyrium scheint für viele Frauen noch nicht vorbei zu sein, auch wenn sie in Deutschland aufgegriffen und ausgewiesen wurden. Zurück in ihrer Heimat sind sie immer noch im Bann. Kopf- und Schamhaare, Fingernägel, manchmal auch Blut sind ihnen vor ihrer „Auswanderung“ vom Voodoo-Priester genommen und in einen Schrein gelegt worden. Sie haben schwören müssen, entstehende Kosten zurückzuzahlen und die Verantwortlichen nicht zu verraten, sonst würden die Dinge im Schrein gegen sie verwendet werden.

Es sind verstörende Bilder, die das Reporter-Team zwar nicht selbst gedreht, aber anderweitig aufgetan hat: Sie zeigen einen Voodoo-Priester in Aktion, inmitten von Tierkadavern, wie er ein Huhn schlachtet und eine junge Frau in Trance versetzt. Den Verwesungsgestank meint man fast schon durch den Bildschirm zu riechen.

„Das ist afrikanische Magie“

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Voodoo wirkt offenbar – nämlich auf die Weise, dass die dummdreisten Drohungen bei den befragten Frauen nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben. „Manche Frauen, die sich weigern, werden einfach verrückt. Einige sterben plötzlich. Andere ertränken sich im Meer. Wieder andere laufen vor den Zug. Das ist afrikanische Magie. Alle haben Angst davor. Deshalb machst du alles, was sie dir sagen“, erklärt eine ehemalige Zwangsprostituierte.

Eine andere berichtet, sie habe in Deutschland nur darüber nachgedacht, mit der Polizei zu sprechen. Da habe sie plötzlich ihre Tage bekommen – einen Monat lang. „Das war meine Madame“, sagt sie überzeugt.

Wer verunsichert ist, ob der Fluch wirken könnte oder nicht, findet in Deutschland wenig Grund, es darauf ankommen zu lassen. „Was können Sie den Opfern versprechen für eine Aussage?“, ist eine Frage an Kriminaloberkommissar Busch. „Gar nichts“, so seine resignierte Antwort. Es gibt keine Kronzeugenregelung, die den Opfern nach einer Aussage einen sicheren Verbleib in Deutschland ermöglicht.

Als Versagerinnen werden die Frauen zuhause nach ihrer Abschiebung abgestempelt. Und die Abschiebung aus Deutschland ist nur eine Frage der Zeit, denn die Zwangsprostituierten sind illegal hier.

„Den netten Freier gibt es nicht“

Auch wenn es hier Nigerianerinnen sind, die Nigerianerinnen unter Druck setzen, ist das Ganze kein rein afrikanischen Problem. Die Deutschen machen sich auf verschiedenen Ebenen kräftig mitschuldig. Kriminaloberkommissar Busch hat da Einiges zu erzählen. Von den deutschen Freiern etwa, die teilweise die Frauen, die benutzen, mit ihrer Illegalität erpressen und Geld von ihnen verlangen, statt sie zu bezahlen. „Den netten Freier gibt es nicht in der Bordellszene. Den hab ich noch nicht gesehen“, sagt der Polizist.

Seine schweren Anschuldigungen gehen auch in die eigenen Reihen. Behörden hätten oft wenig Interesse, solche Fälle von Zwangsprostitution zu bearbeiten. Zuständigkeiten würden hin- und hergeschoben, auch über Bundesländergrenzen hinaus. „Man merkt immer wieder, auch bei der Polizei, dass man den Umgang mit Schwarzafrikanern ...“ Er druckst herum. „... nicht so will.“

Vor den furchtbaren Erfahrungen, die jungen Afrikanerinnen in Europa drohen können, warnt in Nigeria eine Hilfsorganisation. Die Aktivistinnen gehen in Schulen und versuchen Aufklärungsarbeit zu leisten. Sie begegnen vielen Mädchen, die davon träumen, ihre Heimat zu verlassen, um sich zum Beispiel in Deutschland eine gute Zukunft für sich und ihre Familie aufzubauen. Fest entschlossen sagt eine Schülerin im Interview: „Ich werde gehen, weil ich meiner Tante vertraue.“

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