Zum Inhalt springen

Comic über Hate Speech Das hasserfüllte Betteln um Aufmerksamkeit

Zwischen Gewaltfantasien und Rassismus: Kathrin Klingner hat ihre Arbeit als Moderatorin für Internet-Kommentare zum Comic "Über Spanien lacht die Sonne" verarbeitet - krass, komisch und knochentrocken.
Foto:

Kathrin Klingner/ Reprodukt

Oh, das ist guter Stoff. Richtich gutes Zeuch. Einige werden’s wieder mal nicht mögen, weil es so gekrakelt aussieht. Oder kein richtiger Feelgood-Comic ist. Trotzdem, geben Sie "Über Spanien lacht die Sonne" von Kathrin Klingner eine Chance. Weil der Band verdammt unterhaltsam ist und - ja, das geht – trotzdem wichtig.

Klingner erzählt ein Kapitel aus ihrem eigenen Leben: Sie jobbte 2014/2015 als Moderatorin von Online-Kommentaren, wie sie im Internet allgegenwärtig sind, auch unter Online-Artikeln wie diesem hier. Der Zeitraum ist derjenige, als die sog. Flüchtlingskrise ihren Höhepunkt erreichte. Es ist nicht ganz klar, für welches Medium Kitty, Klingners Stellvertreterin im Comic, arbeitet, aber ihre Aufgabe ist: Sie soll aus den Kommentaren diejenigen herausfiltern, die nicht den Richtlinien entsprechen.

Schon Kittys Einweisung ist bezeichnend: "Jeder gelöschte Kommentar wird gespeichert und mit einem Kürzel versehen", lernt sie. "OT" für "off topic", "KEB" für "kein ernsthafter Beitrag", "FR2" für "Rassistische Beleidigung", "GFA" für Gewaltfantasie." Dann zeigt Kittys Chef aufs Nachbarbüro: "Keine Ahnung, was die machen, halt auch irgendein Internetquark." Klingt nicht besonders, oder? Mir ist’s auch erst beim zweiten Durchlesen aufgefallen: Es gibt so viele Kommentare, dass man mehr Leute einstellen muss.

Fotostrecke

"Über Spanien lacht die Sonne"

Foto: Kathrin Klingner/ Reprodukt

Rassismus und Gewaltfantasien sind keine Ausrutscher, sondern sie tauchen so oft auf, dass sie Standardkürzel kriegen. Und die Aufsicht darüber haben Leute, die sagen, diese Aufsicht sei halt auch nur "irgendein Internetquark". In nur sieben Panels beschreibt Klingner den Sprengstoff, auf dem wir alle inzwischen sitzen. Ohne jede Betonung, ohne das starre Panelschema zu verlassen. Jedes Bild sagt "jaja, so ist das", und gerade diese Beiläufigkeit macht die Szenerie, die ja unsere Realität ist, erst so richtig gespenstisch.

Trockenheit ist Klingners stärkste Waffe. Sie arbeitet ohne jede Betroffenheit, ohne Häme, ohne Sarkasmus. "Wer sich über brennende Asylheime wundert, hat nichts! verstanden", läuft über den Bildschirm, während Kitty nebenher Chips knuspert. "Die Entvolkung Deutschlands ist in vollem Gange", liest eine Kollegin gleichmütig trinkend. Ob man derlei für schlimm hält, bleibt dem Leser überlassen, die Moderatorinnen zeigen längst keine Reaktion mehr, selbst die bizarrste Paranoia ist für sie Alltag.

Privatkrieg der Hetzer und Trolle

Für mehr Aufsehen bei ihnen sorgen da schon die abstrusen Reaktionen der Hetzer und Trolle: Ohne jede Chance auf Veröffentlichung ihrer Kommentare beginnen sie Privatkriege mit den Moderatorinnen und Moderatoren, melden sich unter Mehrfachnamen an, verwenden in jedem Fall erstaunlich viel Zeit für dieses widersprüchliche Phänomen, das sich in Foren und Kommentarspalten immer wieder zeigt: Eine Art hasserfülltes Betteln um Aufmerksamkeit im Schutz der Anonymität, Aufmerksamkeit von irgendwem, und sei es die der Moderatorin, die doch den Text nicht mal freiwillig liest.

Anzeige
Kathrin Klingner

Über Spanien lacht die Sonne

Verlag: Reprodukt
Seitenzahl: 128
Für 20,00 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

02.05.2024 10.03 Uhr

Keine Gewähr

Produktbesprechungen erfolgen rein redaktionell und unabhängig. Über die sogenannten Affiliate-Links oben erhalten wir beim Kauf in der Regel eine Provision vom Händler. Mehr Informationen dazu hier

Erfreulich ist auch, dass Klingner nicht zu sehr auf die "Was-macht-so-viel-Hass-mit-den-armen-Moderatoren"-Tube drückt. Sicher, die sagen mal, dass sie kaum noch Nachrichten gucken, dass sie nach Feierabend mit dem Internet nichts mehr zu tun haben möchten. Aber Klingners Tierfiguren im schwarz-weißen Minimalstil führen auch selbst ein seltsam emotionsloses Leben. Manchmal wäre man froh, wenn man bei ihnen sowas wie einen "Wir-retten-die Demokratie"-Missionsgeist sähe, einen gerechten Zorn, gerade von Kitty, dem Neuling. Macht denn nicht jeder verhinderte Hasskommentar die Welt ein bisschen besser?

Aber so billige Lösungen gibt’s bei Klingner nicht. Wo sollen die auch herkommen? Hier geht’s ja nicht um Recht und Gesetz, hier machen einige Moderatorinnen einen vorübergehenden Job, und wenn man den hinter sich hat, macht man halt einen anderen Internetquark. Kitty kriegt keinen Heulkrampf, sie geht bloß heim, kippt sich Rotwein in den (aus fünf Flecken großartig zurechtgeklecksten) Kaninchenkopf und versucht, einen Roman drüber zu schreiben.

"Solange Leute es sich anschauen, und auch wenn sie es nur tun, um sich darüber zu empören, wird es Hate Speech weiterhin geben."

Kathrin Klingner

Klingner selbst sieht die Problematik nüchtern. Aufmerksamkeit ist die Währung, die das Internet und auch den Hass am Laufen hält: "Solange Leute es sich anschauen, und auch wenn sie es nur tun, um sich darüber zu empören, wird es Hate Speech weiterhin geben", sagt sie. Tatsächlich ließe sich das Internet zivilisieren – allerdings um den Preis der Anonymität. Klingners letztes Kapitel deutet diese Option an: Der Chef der Moderatorinnen und Moderatoren beschließt eine "Versöhnungsfeier" zu veranstalten, Moderatorinnen und Moderatoren sollen auf die übelsten Hetzer der Website treffen. Ohne Pseudonym, mit offenem Visier.

Wie's ausgeht? Kaufen, lesen.